Rechtschreibung und Rechtschreibreform
betrachtet von ihrer besten Seite
Rechtschreibung und Rechtschreibreform haben die Nation ebenso tief gespalten, wie die Gilde der Skifahrer gespalten ist durch die bereits zuvor diskutierte Frage nach der einfachen Erlernbarkeit des Snowboardfahrens. Und hier wie dort disputieren vor allem Jene lautstark, die froh sein können, dass es die Rechtschreibreform gibt - sodass ihre wesentlichen Fehler weniger werden. Jahrelang wusste niemand, dass man «so dass» in zwei Worten und «Nummerierungsbezirk» mit nur einem «m» schreibt und so weiter.
Als Vater ist es geboten so zu schreiben, wie es die Kinder lernen. Nur die ewig Gestrigen stellen sich nicht um. Aber wer kann schon seinen Kindern stilsicher einen Aufsatz korrigieren oder eine Rede vorbereiten. Ohne die Rechtschreib- und Grammatikprüfung der Textverarbeitungsprogramme kann doch ohnehin kaum jemand einen längeren Text fehlerfrei verfassen. Von «der Schreibe», wie es so schön heißt, sehen wir einmal ganz ab.
Betrachten wir die Rechtschreibreform von ihrer besten Seite. Sie hat das Schreiben nach dem Stamm hervor gebracht, das unselige
«ß» nach kurzem Vokal gekippt und die typisch deutschen Wortschlangen auseinander gerissen. Als Schreiberling im
Internet, in dem die verschiedenen Browser nicht einmal in der Lage sind, eine Tabelle auf die gleiche Art und Weise darzustellen,
ist man doch sehr dankbar, wenn man kurze Wörter benutzen kann. Von der Silbentrennung wage ich nur zu träumen.
Sicherlich kann man sich nicht darüber streiten, ob es einen Unterschied macht, ob jemand, wie es das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL zurecht schrieb, «wohl bekannt» oder «wohlbekannt» ist. Diesen semantischen Unterschied haben Korrekturen zur Reform letztlich auch wieder etabliert, «alternativlos» in seiner tiefsten Bedeutung! Andererseits bin ich angesichts der zunehmenden Verödung der deutschen Sprache im Alltagsgebrauch aber auch skeptisch, ob überhaupt mehr als zehn Prozent der Bevölkerung den Unterschied zwischen den beiden Varianten verstehen. Die Kritiker der Reform sollten sich vor das nachmittägliche Jugendverdummungsprogramm der Privatsender setzen und dagegen opponieren. Wer ein Einlenken bei der Reform verlangt, der übersieht, dass die Wurzel allen Übels in der abnehmenden Bereitschaft begründet liegt, sich produktiv mit der Sprache auseinander zu setzen. Das Argument der Schriftsteller, dass es schlecht sei, wenn Schreiber und Leser nicht die selbe Schriftsprache benutzen, ist hinfällig. Praktisch gesehen hat es diesen Zustand in den letzten Jahren ohnehin nicht gegeben. Immerhin bekommen Gegner der Rechtschreibreform heutzutage Nobelpreise. Ich frage mich, ob ich nicht auch gegen irgendwas sein kann?
Auch werde ich den Eindruck nicht los, dass viele von denen, die maßgeblich an der Reform beteiligt waren, nun so tun, als hätten sie das nicht gewollt. Von Spitzfindigkeiten abgesehen hat das Regelwerk einige beachtenswerte Änderungen hervor gebracht. Um die Reform wirklich einfacher zu halten und die Akzeptanz zu erhöhen, hätte man die Konjunktion «dass» seines unpraktischen zweiten «s» berauben müssen. Letzteres hätte vermutlich 50% der gängigsten Fehler behoben. Gerade Zeitungsfritzen hätten von dieser Änderung profitiert. Der Bonner General-Anzeiger trägt mit seinen Stilblüten und grammatikalischen Fehlern in praktisch jedem Beitrag und an jedem Morgen aufs Neue zur Belustigung seiner Leser bei. Als man die Korrekturleser entließ, um Kosten zu sparen, ahnte man noch nicht, dass die Redakteure selbst der Sprache immer weniger mächtig sein würden. Man kennt diesen Effekt seit den Pisastudien. Heute sind die Fehler so offensichtlich, dass sie direkt ins Auge fallen.