Paris 2025
Rückfahrt Maisse - Paris - Bonn, 742 km
10. Tag: Maisse - Paris Beau Village, Paris, 41 km
Ich wache früh auf und liege noch eine Weile wach. Um 7:30 Uhr stehe ich auf und koche Kaffee. Nach dem Frühstück mit meiner Frau und unseren Freunden pumpe ich die Reifen auf, was aber kaum nötig ist, packe den Koffer meiner Frau ins Auto, wende den Wagen und belade das Fahrrad. Nach herzlichen Worten und einigen Fotos verabschiede ich mich. Punkt 10 Uhr überquere ich am Bahnhof von Maisse die Gleise.
Ich fahre nicht über die vorgeschlagene Route sondern über Boutigny. Hier ist einfach
weniger Verkehr als auf der Straße durch Maisse. Ich fahre den selben Weg wie auf der
Hinfahrt. Kurz vor Brétigny-sur-Orge werfe ich Google an, um mich zum Campingplatz
Le Beau Village de Paris zu bringen. Das funktioniert gut, zuletzt durch einen
Park, an den ich mich noch gut erinnern kann. Nach 41 km bin ich vor Ort. Ohne
Reservierung geht hier nichts. Allerdings gibt es einige wenige Stellplätze für
Einzelwanderer (Forfait vélo/tente). Einen davon bekomme ich.
Ich nutze den neuen Campingstuhl, koche Kaffee und esse zwei Croissants, die ich kurz hinter Boutigny gekauft habe. Sehr entspannt. Nach dem Kaffee gehe ich duschen. Die Sanitäranlagen im hinteren Bereich sind klein aber sehr sauber und auch die Gäste sorgen dafür.
Ein älteres holländisches Ehepaar baut auf dem Nachbarplatz auf. Sie fahren nach
Santiago di Compostela und haben noch 2.000 km vor sich. Am Abend sehe ich, dass
sie sogar eine Lichterkette mitschleppen, die auf Akkustrom läuft.
Ich esse zu Abend am Kiosk des Platzes. Ich will Wein im Glas ordern, aber der Hauswein ist aus. Rotwein gibt es nur noch als Flasche und die als Bordeaux. Aber der prämierte 2022er lässt sich ausgezeichnet trinken. Und 18 Euro ist kein Preis, über den man diskutieren müsste. Die beiden Spieße mit Pommes kosten 10 Euro und schmecken gut. Einen Salat suche ich hier vergeblich.
Ein holländisches Paar setzt sich zu mir. Die beiden sind unterhaltsam. Beide sprechen gut deutsch, fahren Snowboard und arbeiten zeitweise in der Gastronomie in Österreich. Er ist vor neun Jahren 2.600 km mit dem Rad durch Frankreich gefahren. Sie wollen sich das Finale der Tour de France in Paris ansehen, vielleicht auch die Runden in Montmartre. Er will noch den Mont Ventous mit dem Rad machen. Ich empfehle ihm, früh aufzusteigen wegen des Verkehrs. Ambitioniert wenn man raucht.
Ich schreibe ein wenig für die sozialen Medien. Dabei erfahre ich, dass meine Frau gegen 20 Uhr zu Hause angekommen ist. Alles gut. Eigentlich wollte ich von der Flasche Rotwein etwas übrig lassen, weil ich ja schon zu «4 heures» Rotwein getrunken hatte ...
11. Tag: Paris Beau Village, Paris - C. Les 3 Sources, L'Isle-Adam, 76 km
Eine Freundin hatte mir ein Bild geschickt von einer Flasche Mont Blanc Bier, aufgenommen
in Chamonix. Auf der Hinfahrt hatte ich beim Auschecken am Camping de Paris gesehen, dass sie
dieses Bier gekühlt verkaufen. Und da mich die Reiseroute zufällig in der Nähe des Platzes
vorbei führt, beschließe ich, dort Mittag zu machen.
Ich durchquere Paris vom Süden ins Zentrum und weiter auf der Rue Rivoli nach Westen, vorbei
am Louvre und über den inneren Kreis am Triumphbogen, in dessen unmittelbarer Nähe ich
endlich dazu komme, einen grand café zu trinken, serviert mit einem Glas Wasser, comme il faut.
Der einst gefürchtete Kreisverkehr hat durch die verkehrsberuhigenden Maßnahmen seinen
Schrecken verloren.
Am Laden des Camping de Paris treffe ich auf einen Amerikaner, 68, der mit seiner deutschen
Frau in Berlin lebt, und der es mit dem Rad von Berlin bis hierher geschafft hat. Sie kommt
mit dem Flixbus nach; weil sie damit auch das Fahrrad transportieren kann. Danach geht es
zusammen nach Spanien. Wir unterhalten uns über Ausrüstung auf dem Fahrrad und das von
GNavigia produzierte Profil
mit Campingplätzen, während ich das Bier, 0,75 Liter, und zwei Pain au chocolat vertilge. Ich
zeige ihm die Seite camping.info, von der
er sofort begeistert ist: «Das erleichtert mir die Planung.»
Ich finde das Bier unangenehm hopfig. Nach fast zwei Stunden setze ich die Fahrt fort. Ich
verlasse Paris über La Defense, wobei ich zwischen den höchsten der Hochhäuser durchfahre,
mal auf schmalen, verschlungenen Pfaden mit zahlreichen Richtungswechseln, mal auf geraden,
üppig breiten Radwegen, aber nie auf der Straße. Mag sein, dass die Radautobahnen zur Rushhour
ihre Berechtigung haben. Ich komme mir auf ihnen ziemlich verloren vor. Hier und da muss ich
rote Ampeln auch ohne Zusatzschild überfahren, dazu die allgegenwärtigen Stoppschilder, sonst
komme ich mit dem schwer beladenen Rad nicht voran. Mit zunehmender Entfernung von Paris nimmt
der Verkehr und auch die Anzahl der Ampeln ab. Am Nachmittag nutze ich die Zwangspausen zum
Wassertrinken, was ich aufgrund meiner Erkrankung ohnehin nur im Stehen tun kann.
Angekommen auf dem Campingplatz bei L'Isle-Adam köpft mir der Besitzer 5 Euro für die Nacht ab. Ich finde einen netten Stellplatz in der Nähe eines anderen Zeltes, das von einem Iren bewohnt wird, Peter, der in Dumphries (Südschottland) lebt. Er will nach Amsterdam und weiter mit dem Schiff nach Newcastle-upon-Tyne. Wir unterhalten uns über seine achtwöchige Reise, den Brexit und viele andere Dinge. Er ist von meiner technischen Ausrüstung angetan. Auch meine Ausführungen zum Grundbuch interessieren ihn, auch wenn ich den Begriff «öffentlicher Glaube» nicht glaubwürdig ins Englische übersetzen kann. Und auch er will sich camping.info genauer anschauen.
12. Tag: C. Les 3 Sources, L'Isle-Adam - C. L'Etang du Moulin, Salency, 113 km
Ich starte gegen 9 Uhr, nachdem ich mich herzlich von Peter verabschiedet habe. Das Wetter
ist trocken aber kühl. Das Smartphone ist komplett aufgeladen, die Uhr auch, allerdings
vergesse ich sie einzuschalten, weshalb ich 2 km hinzuzählen muss.
In dem Dreieck zwischen Boran-sur-Oise, Lamorlave und Gouvieux fahre ich durch einen Wald mit sternförmig angelegen Wegen, die ausnahmslos von Villen gesäumt werden. Hier, unweit von Paris, wohnt offensichtlich, wer in der Stadt Geld verdient hat. Von wenigen alten Gebäuden abgesehen, die allesamt ordentlich renoviert wurden, sind die Häuser neu, modern und in großzügige Grundstücke eingebettet, von denen zahlreiche die Ausmaße von Parkanlagen haben. Einen der Wege gibt es so nicht mehr, er ist mit einem Tor versperrt, was wieder einen Umweg bedeutet.
Ich komme gut voran, fahre bis Pontpoint einen ordentlichen Schnitt und kaufe dort ein Croissant und zwei Pain au chocolat. Leider finde ich die kleine Bäckerei nicht wieder, in der ich damals eingekauft hatte. Erst zu Hause sehe ich auf der Karte, dass ich Pontpoint gar nicht erreicht hatte, sondern nach Pointe-Sainte-Maxence auf den Eurovélo 3 eingeschwengt bin, der den Ort entlang der Oise umgeht. Komoot hätte mich hier wieder über Land geschickt, um einige Kilometer später auf den Radweg zu treffen. Das hatte ich, der Beschilderung folgend, abgekürzt. Natürlich wird der Weg dadurch länger.
Nach 63 km mache ich die erste Rast. Nach einer halben Stunde beginnt es zu regnen. Ich warte 1½ Stunden unter dem Regenschirm. Als es donnert breche ich auf. Ich werde nur leidlich nass, dann lässt der Regen nach.
Auf dem Weg nach und in und um Compiègne fahre ich über Wurzelaufbrüche der Extraklasse, die das Rad wie wild hüpfen lassen. Für die Reise hatte ich Löcher an der Aufhängung gebohrt, um die alte Lenkertasche mit Splinten sichern zu können. Das ist jetzt Gold wert! Dieser Zustand, der mich schon im vorigen Jahr mächtig geärgert hatte, ist ein Skandal! Jetzt fahre ich hier bergauf, weshalb das Drama halbwegs verkraftbar ist.
Ich durchquere Compiègne und komme hinter Choisy-au-Bac in den Wald, wo ich mir wieder, der Beschilderung folgend, einen längeren Weg aussuche als unbedingt nötig. Am Ende fahre ich die D 165 bis Saint-Léger-aux-Bois, aber nicht, ohne mich an der Kreuzung aufgrund der dämlichen Sprachausgaben von Komoot zu verfahren.
Bis Pimprez geht es zügig weiter. Ich fahre in einem aufziehenden Gewitter in den Ort und stelle mich an einem Haus mit Dachüberstand unter, gerade vis à vis jener Stelle, an der ich im vorigen Jahr ein Foto von der Beschilderung des Eurovélo 3 gemacht hatte. Ein freundlicher älterer Herr kommt aus dem Tor und erzählt mir, dass das Gewitter fortgezogen sei. Er zeigt mir den Weg Richtung Noyon, was die Navigation aber auch noch richtig macht. Kurz vor Noyon biege ich auf den Weg entlang des Canal lateral à l'Oise ab.
Wirklich dramatisch wird es dann wenig später, als Google den Weg zum Campingplatz verpeilt.
Vom Weg entlang des Kanals gibt es keine Abzweigung, anders als Google mir das vorgeschlagen
hat. Ich finde mittels Komoot einen Feldweg, der abenteuerlich ist, wozu ich erst einmal eine
mit Betonwänden versehene, uralte Brücke überqueren muss. Dass es hier einst einen regulären
Weg gegeben haben muss, beweist die heute verfallene und gesperrte Brücke über den Kanal.
Irgendwie bringe ich das Rad im kleinsten Gang an die D 1032, deren Zahl besagt, dass sie mal eine Nationalstraße war. Ich kann die schnurgerade, viel befahrene Straße überqueren und erreiche steil bergauf Babœuf, den Nachbarort von Salency, wo der Campingplatz liegt. Was Google mir verschwiegen hat: Zwischen Babœuf und Salency gibt es gar keine Straße!
Die weitere Wegstrecke führt mich zu einem Drittel durch Wald, Wiesen und über weitere Feldwege.
Satte 5 km hätte ich mir sparen können. Das Rad ist total versaut. Und natürlich haben mir
die Pedale die Beine zerkratzt bei dem Versuch, das Rad bergab über Hohlwege zu schieben, die
mit der aktuellen Beladung unbefahrbar sind.
Der Campingplatz passt zum Tag. Er ist abgelegen und hat lediglich eine kleine Bar, die 20 Minuten nach meiner Ankunft schließen soll. Es ist ein Teich dabei, an dem man auf Forellen angeln kann. Ich werfe alles ab, gehe zur Bar und kann, weil andere auch noch bleiben, eine Tüte Chips essen und insgesamt 3 Bier trinken, die hier immer die Größe 0,25 l haben. Das Bier ist für französische Verhältnisse wirklich gut! Das versöhnt mich mit den Strapazen der Anfahrt.
Beim Abendessen vor dem Zelt setzt wieder Regen ein. Ich trinke zwei Tassen Kaffee und gehe duschen. Genug für heute!
13. Tag: L'Etang du Moulin, Salency - Le Val d'Oise, Étréaupont, 98 km
Nach der Aufregung gestern Abend bin ich heute nicht ganz so zügig unterwegs. Nach frühem Aufbruch noch vor 9 Uhr komme ich ohne Zwischenfälle und auf direktem Weg zurück auf den Chemin de Halage (Leinpfad). Ich folge ihm bis Chauny, wo ich im selben Lebensmittelladen einkaufe wie im Vorjahr. Der junge Franzose, in den 30ern, ist noch genauso freundlich wie damals. Auch daran erinnere ich mich. Ich kaufe zusätzlich einen 21er Côte du Rhône.
Danach fahre ich zum Bäcker und ordere Pain complet, Pain au chocolat und ein Croissant.
Zurück am Kanal fahre ich mich in einer Baustelle fest. 3 km Umweg kommen so zusammen.
Das Wetter ist bedeckt aber gut, ärgert mich jedoch bei der Mittagspause, wo ich den
Regenschirm über dem Essen aufspanne, selbst aber nicht nass werde. Ich gönne mir ein ¼ vom
Wein und esse üppig. Bei dieser Gelegenheit fülle ich den Rest der Weinflasche in eine der
Cola-Flaschen um, die ich für diesen Zweck mitführe.
Nach über einer Stunde fahre ich weiter. Hier und dort wird man wegen Bauarbeiten am Weg
oder am Kanal selbst umgeleitet. Auf diese Weise komme ich u. a. nach Thenelles.
Ich habe noch mehr als 50 km vor mir. Zwei oder drei Ortsdurchfahrten stehen viele Kilometer am Kanal, auf Waldwegen und der Bahntrasse gegenüber. Es ist von der Streckenführung einer der besten Tage dieser Reise, sieht man von der Vennbahntrasse einmal ab. Zwischen Origny Sainte Benoîte und Guise muss ich einen Berg auf wenig befahrenen Landstraßen überwinden, danach geht es zügig hinunter in den Ort. Noch am Ortseingang treffe ich auf einen Radweg, an den ich mich erst erinnere, als ich die steile Auffahrt sehe. Dann fällt mir wieder ein, dass ich bis Étréaupont gut 20 km auf einer alten Eisenbahnlinie fahren werde. Sehr angenehm.
Nach 98 km erreiche ich gegen 18 Uhr den 2-Sterne-Campingplatz. Morgen werde ich bezahlen. Das Wetter soll wieder schlechter werden. Dann fahre ich halt weniger.
14. Tag: Le Val d'Oise, Étréaupont - Maubeuge, Airbnb, 80 km
In Étréaupont habe ich kurz vor dem Zubettgehen beschlossen, die Route über Maubeuge zu legen und dem Eurovélo 3 im Original zu folgen. Beim Frühstück bemerke ich zudem, dass ich unbedingt eine neue Gaskartusche brauche. Viel vor für heute.
Zunächst bleibe ich auf Radwegen durch Wälder entlang der Oise, wohl wissend, dass ich noch eine
Wasserscheide überwinden muss. In Hirson fahre ich an einer Einmündung auf eine Bäckerei zu, die
mir ein sehr leckeres Vollkornbrot verkauft. Vollkornbrot, Pain complet, unterscheidet sich
signifikant von Baguette, insbesondere in der Form. Aber es ist genau so locker gebacken. Mit
unseren festen Broten hat das nichts zu tun.
Obgleich die Dame hinter der Theke mein Tourenrad gesehen hat, weist sie mich darauf hin, dass wer zwei gleiche Teile kauft, eines umsonst bekommt. Ich nehme die Werbung gerne an und ordere zwei Pain au chocolat sowie ein Croissant. Mehr will ich nicht auf Vorrat kaufen. Später bei der Rast stelle ich fest, dass das Schokoladenbrötchen sensationell viel Schokolade enthält.
Noch in Hirson biege ich ab und krabbele den ersten Berg hinauf. Danach geht es auf und ab, bis ich schließlich nach steiler Abfahrt auf jenen Fischteich mit Restaurant treffe, Étang de pêche du Pas Bayard, von wo aus ich mich damals äußerst mühsam den Berg hochgequält hatte. Es geht weiter auf und ab, sodass letztlich 500 Höhenmeter zusammenkommen, erst mit dem Überschreiten der belgischen Grenze wird es flacher. Bei Ohain umgeht Komoot noch einmal die Hauptstraße, dann erreiche ich Trélon und danach Glageon, wo ich im Supermarkt einkaufe. Wenig später biege ich auf eine alte Eisenbahnlinie ab, wo ich bald darauf eine Bank finde, auf der ich mich ausbreiten und Pause machen kann. Der Radweg ist von hoher Qualität.
Hinter Sars-Poteries geht es über viele Kilometer mit merklichem Gefälle bergab. Und obgleich mich Komoot wieder über eine Abkürzung schicken will, folge ich konsequent dem Eurovélo 3, der mir den Autoverkehr vom Leibe hält.
Das eigentliche Abenteuer beginnt, als ich vor dem geschlossenen Tor des Camping municipal de Maubeuge stehe. Ich mache auf camping.info einen Platz aus, den ich erreichen könnte, der von der Route aber weit entfernt liegt. Ich rufe an um sicherzustellen, dass er geöffnet ist: "Nein" lautet die Antwort. Also entscheide ich mich für Airbnb.
Wenn man dort noch nicht registriert ist, bedeutet das eine Verifikation der Identität. Das
ist besonders spannend unter einem Regenschirm (in diesem Fall hat ein großer Baum gereicht),
da man ein Foto vom Personalausweis machen muss und von sich. Hat man all das geschafft,
erhält man die Durchsage, dass der Besitzer 23 Stunden Zeit hat, auf die Anfrage zu antworten.
Aus der Anzeige habe ich eine ungefähre Vorstellung von der Lage, und so mache ich mich ohne
Rückmeldung des Vermieters auf den Weg in die Gegend der Wohnung. Tatsächlich erreicht mich
unterwegs eine Zusage und Angaben zur Wohnungsübergabe, die aus einem Kästchen mit mechanischem
Zahlenschloss besteht.
Das Fahrrad parke ich im Hausflur, Millimeterarbeit. Ob ich das darf? Ich frage besser nicht.
Wer Baumörtel im Flur abstellt, kann sich nicht ersthaft über ein platzsparend abgestelltes
Rad beklagen. Den Forumslader nehme ich mit aufs Zimmer. Die Taschen trage ich eine schmale, sehr
steile Treppe hoch. Das Zimmer ist schön und modern eingerichtet, allerdings fehlt ein Stuhl, auf
dem man bequem sitzen könnte. Durch die Lage unterm Dach wird es außerdem sehr warm. Als ich
ankomme, ist es derart stickig, dass ich erst einmal lüften muss. Es gibt zwei Ventilatoren im
Raum, von denen einer in die Deckenlampe eingebaut ist. Er läuft nur, wenn das Licht eingeschaltet
ist, dessen Schalter zugleich der Generalschalter ist. Passend zur heutigen Zeit: Die
Ladeinfrastruktur für Smartphones ist vom Generalschalter ausgenommen. Sie läuft auch in der Nacht.
Ich gehe zum Abendessen. Ich habe mir drei Restaurants vorgenommen, aber schon das Viertel, in dem ich hier wohne, ist eine Katastrophe. Ich mache eine große Runde durchs Elend, zuletzt schaue ich, was Google dazu sagt. (Bei den Wegen über Land verarscht mich der selbsternannte Gott des Internets ja immer wieder.) Schließlich lande ich im "Le talier de Didy's". Das Restaurant soll "am besten bewertet" sein, sagt Google. Tatsächlich bezahle ich 40,50 Euro für einen Pastis, eine Vorspeise, ein Hauptgericht und ein Pichet de vin rouge. Es bietet afro-europäische Kost und ich bin von dem Ergebnis begeistert. Wann habe ich zuletzt einen gemischt Salat mit allerlei exotischen Früchten und mit süßer Banane gegessen?
Der Rückweg über den Leinpfad der Sambre dauert kaum 20 Minuten. Diesmal überrascht mich Google angenehm. Das Restaurant hat meinen Abend gerettet.
15.Tag: Maubeuge, Airbnb - JH Namur, 109 km
Der Wecker klingelt um 6 Uhr. Ich mache Frühstück und esse mit möglichst wenig Einwirkung auf
die Küche. Nur eines der scharfen Messer hat es mir angetan, weil es das Brot so viel besser
schneidet als meins. Ich reinige den Herd und alles weitere im Studio, was die Putzfrau erwarten
kann. Um 8:30 Uhr habe ich die steile Treppe zweimal bezwungen und das Rad beladen. Der Schlüssel
ist zurück in seinem Kästchen. Ich fahre direkt auf den Chemin de Halage, den ich vom Vorabend
kenne.
Der zum Teil starke Westwind bläst mir an diesem Tag ordentlich in den Rücken. Ich komme gut
voran. Unterwegs poste ich je ein Bild vom Morgen, Vormittag, Mittag. Die Landschaft ist ebenso
unspektakulär wie schön. Der Radweg ist in sehr gutem Zustand. Alles ist sauber und aufgeräumt.
Bei Charleroi wird zunächst der Straßenbelag immer schlechter, dann auch das Landschaftsbild.
Industrieanlagen, darunter viele verrottete, lösen die Kanallandschaft ab. Wohlgemerkt, die Sambre
ist ein Fluss und kein Kanal, aber durch den Ausbau und die Schleusen ist dieser Fluss nicht von
einem Kanal zu unterscheiden. Mit der Industrie kommt der Schmutz, die wilden Müllkippen; man
passiert heruntergekommene Häuser und Mauern mit Natostacheldraht auf der Mauerkrone. Gruselig.
In der Innenstadt ist Charleroi sauber und modern. Ich hatte festgestellt, dass das Gas zur
Neige geht, also frage in einer Boulangerie nach einem Geschäft für Campingbedarf: «Es gibt
hier einen Décathlon.» Also fahre ich die 1½ km hin. Die große Enttäuschung: Die kleinste
Kartusche führen sie nicht mehr.
Ich hatte schon früher gesehen, dass die 206er Serie langsam ausstirbt, aber das ich das noch
erleben muss! Unverrichteter Dinge fahre ich zu dem für französische Verhältnisse kleinen
Carrefour in der Innenstadt und kaufe eine Flasche Wein, damit ich beim Mittagessen, das
diesmal als erste Pause erst nach 75 km gegen 14 Uhr stattfindet, wenigstens etwas Wein
zum Essen habe. Während der Pause verwöhnt mich die Sonne. Ich reserviere telefonisch einen
Platz in der JH Namur.
Danach treibt mich der auffrischende Wind vor sich her, sodass ich ohne große Anstrengung und mit 5 Minuten Schauerpause nach knapp 109 km in der JH ankomme. Mit 110 m ist das mit Abstand der Tag mit den wenigsten Höhenmetern. So muss sich eine Radtour entlang der Donau anfühlen.
16. Tag: Namur JH - C. Vieux Moulin, Sippenaeken, 118 km
Wie im Vorjahr in der Gegenrichtung ist die Etappe auch heute 118 km lang, obgleich ich
den Leinpfad 10 km hinter Huy verlassen muss, weil Bauarbeiten zu seiner Verbesserung
anstehen. Es ist die längste Etappe der Tour. Der Rückenwind ist morgens leicht, treibt mich
aber zuverlässig von hinten an, sodass mich auch die 500 Höhenmeter nicht wirklich ausbremsen.
Ab Mittag merke ich deutlichen Schub, der mir in der Ebene entlang der Maas (Meuse) ordentliche
Geschwindigkeiten erlaubt.
Zu Beginn der Tour treffe ich eine Gruppe älterer deutscher Herren, die mit ihren Stromrädern
unterwegs sind. Sie hatten mich überholt, während ich das Beladen eines Lastkahns fotografierte.
Ich kann wegen des Rückenwinds ohne Probleme neben ihnen herfahren. Sie bringen
mich auf die Idee, bei Lidl nach einer Kartusche Campinggaz zu schauen. Die gibt es dort zwar nicht,
aber ich bekomme die Empfehlung, in einem Bricomarché in der Nähe nachzufragen. Und obgleich man
mich nicht richtig versteht, führt man mich in eine Ecke, wo Kartuschen lagern. Sie werden immer
noch für Lötlampen verwendet. Dass das Gas in der alten Kartusche bis zum Ende der Reise reichen
wird, birgt eine gewisse Ironie in sich.
Der Tag bietet keine weiteren Besonderheiten. Das Wetter ist wechselhaft, lässt mir aber Zeit für ein komplett trockenes Mittagessen. Noch vor Liège gerate ich in heftige Schauern, aber ich kann mich, nur leicht feucht werdend, unter dem Regenschirm gegen die schlimmsten Attacken wehren.
Gegen Abend wird es richtig nass. Da ich mich für keinen Schlafplatz entscheiden kann, fahre ich schließlich durch zum Vieux Moulin. Nur 600 m vor dem Camping muss ich unter den Regenschirm, und in der Rezeption sitzend geht ein Guss herunter, dem auch die alten Ortlieb-Taschen nicht alle widerstehen können. Der Schlafsack wird unten leicht feucht, ebenso der Schlafanzug. Ich warte noch einmal eine halbe Stunde, bis ich das Zelt aufbauen kann. Kaum steht es, gehen weitere Regenschauern hernieder.
Schon im Vorjahr hatte ich wahrheitsgemäß von einem zahmen Karnickel auf dem Vieux Moulin berichtet.
Und auch in diesem Jahr besucht mich wieder so ein Tier am aufgestellten Zelt an der Grenze zu den
Niederlanden. Entweder ist sein Fell deutlich heller geworden, oder es ist ein anders Tier mit
der selben Verhaltensstörung.
In der warmen, üppig dimensionierten Bar esse ich ein ebenso üppiges Croque Monsieur und trinke einige Jupiler. Ich zahle 24,50 für alles zusammen. Es wird auch nicht mehr als ich nachfrage, ob auch tatsächlich 5 Jupiler berechnet wurden.
Währenddessen gehen weitere heftige Schauern nieder. Das wird eine feuchte Nacht werden, für die ich 11,50 Euro bezahle plus einen für die Dusche. Dabei sagt der Wetterbericht, dass ich mich fürs Duschen nur vor das Zelt stellen müsse. Trotzdem gehe ich gegen 23:30 duschen. Ich werfe die Münze ein und nach 3 Sekunden wird der Strom abgeschaltet. Na ja, heute war duschen verzichtbar. So richtig warm geworden bin ich nicht.
17. Tag: C. Vieux Moulin - Bonn, 107 km
Der Morgen beginnt unerwartet unspektakulär. Es ist trocken und nicht zu kühl und wenn es in der Nacht weitere Schauern gegeben haben sollte, dann ohne Beeinträchtigung meiner Ausrüstung. Ich kann in meinem neuen Stuhl sitzend das Frühstück zubereiten. Bei der zweiten Tasse Kaffee setzt dann aber doch eine Schauer ein, die ich unter dem Schirm zusammengekauert überstehe. Ich schließe alle Dosen und nehme Brot und Kaffee mit unter den Schirm.
Auch wegen des Regens breche ich erst um 10 Uhr auf. Ich fahre auf jenem Weg, den ich voriges
Jahr hingefahren war. Dabei muss ich einige Höhenmeter überwinden, um auf die Trasse zurückzufinden.
Nach dem Ende der Trasse krabbele ich über die Straße zum Vaalserberg hinauf, um dann sofort
in die Abfahrt nach Aachen überzugehen. Um 11:28 Uhr fotografiere ich dort den Dom, nachdem ich
kurz zuvor in der Bäckerei gegenüber ein Croissant und ein halbes Vollkornbrot erstanden habe.
Wenig später bin ich zurück im Verkehr. Im direkten Vergleich mit den Belgiern und Franzosen merkt man erst einmal, was für erbärmliche Autofahrer die Deutschen sind. Vor Verkehrsinseln überholen, schneiden und unverschämt knapp Abbiegen hätte ich früher den anderen beiden Nationen zugeschrieben, umso erstaunlicher ist, welcher Grad an Lehrnunfähigkeit, im Volksmund «Dummheit» genannt, sich in Deutschland auftut. Kein Wunder, dass es so viele Unfälle mit Fahrrädern gibt. Im Sprech der Autofahrermaulhelden sind natürlich immer die Radfahrer schuld. Aachen, Düren, Erftkreis und Ahrweiler tun sich besonders unrühmlich hervor. Für das Schneiden beim Überholen sollte der Führerschein für 3 Monate entzogen werden, dann würde sich das Verhalten sehr schnell ändern.
Nachdem ich Düren hinter mir habe, fahre ich öfter auf Wirtschaftswegen, was die Sache entspannt. Am Ende biege ich bei Bliesheim auf den Erft-Radweg ein. Von dort sind es keine 30 km mehr bis nach Hause. An meiner Eisdiele in Endenich kaufe ich nach langen Fahrten immer noch ein Eis. Heute ist es nur noch Tradition, um guten Tag zu sagen, weil ich seit meiner Erkrankung im Rachen leider keinen Gefallen mehr an Eis finde. Die beiden Eismänner fahren selbst ein wenig Rad, weshalb sie immer zuerst nach der Länge der Tour fragen. Da macht sich die Antwort «1.500 km» natürlich gut. Dass ich heute 620 Höhenmeter fahre, hätte ich nicht erwartet. Die 107 km hingegen passen gut zur Planung.