Zermatt - Monte Rosa
Heli-Skiing - Die Tour (4150/1630 m)
Der Morgen beginnt mit dem Blick aus dem Fenster der besagt, dass wir es wieder einmal zuverlässig mit gutem Skiwetter zu tun haben werden. Wir haben heute mehr Zeit als in Chamonix, wo wir das Hotelzimmer verlassen, packen und um dreiviertel neun an der Bahn sein mussten. Hier können wir das Frühstück genießen, das keine Wünsche offen lässt und hoteltechnisch auf neuestem Stand ist. Silvano, der Chef, hat uns erlaubt, je ein Pausenbrot als Verpflegung mit auf die Reise zu nehmen. Es kann los gehen.
Wir laufen, das zeigt uns später der GPS-Empfänger, etwas mehr als einen Kilometer in Richtung Ortsausgang. Ein geräumiger Fahrstuhl bringt uns und weitere Personen nach oben auf die Plattform des Heliports. Um neun Uhr sollen wir dort sein, aber wir sind früher. Wegen der großen Kälte, die angekündigt ist, fahren wir mit Sturmhauben, was sich aber als unnötige Vorsichtsmaßnahme erweisen soll.
Ob ich wirklich zwei Unterhemden gebraucht hätte ist ebenso ungewiss, verliert aber auch schnell an Bedeutung, wenn man einmal in die Kabine des Helikopters geklettert und angeschnallt worden ist. Wenig später hebt der Turbinenlärm an und das Fluggerät setzt sich in Bewegung. Der Flug selbst ist extrem unspektakulär. Man scheint zu gleiten, nicht zu fliegen. Es wackelt nichts oder zumindest nimmt man das leichte Auf und Ab kaum wahr.
Um die Gäste nicht zu verstören, dreht der Hubschrauber mit der Kennung HB-ZSU schon im Startvorgang ab in Richtung Täsch, um das Rothorn durch das Zermatt abgewandte Tal zu umfliegen. Der GPS-Track zeigt später, dass die Flugroute exakt über dem Stockhorn entlang führt. Zunächst finde ich es schade, dass ich keinen Fensterplatz habe, aber dennoch oder vielleicht gerade deshalb entstehen Eindrücke und Bilder von großer Kraft.
Auch wenn die nun schon sechs Jahre alte Sony Alpha 100 nicht mehr auf dem letzten Stand der Technik ist, der Blick durch das Objektiv ist durch nichts zu ersetzen, erleichtert die Auswahl des Bildausschnitts und stabilisiert die Fotos durch das Anlehnen des Gehäuses an den Kopf. So entstehen auch unter schwierigen Bedingungen noch gute Bilder, zu denen ich auch das vom Abflug des Helikopters am Monte Rosa zähle.
Gegen die Sonne, die diesen Tag in das rechte Licht taucht, und doch scharf und hell von unten durchgezeichnet, die starken Reflexionen des Schnees in dieser Höhe machen es möglich, dass die Unterseite des Hubschraubers und das Gesicht unseres Bergführers, Andreas Perren, gut erkennbar sind. Das Bild mit dem sich entfernenden Hubschrauber, unseren Skiern und der vorausfahrenden Gruppe hat hingegen eher den Charme einer Wild-West Perspektive.
Ein Foto, das Seltenheitswert haben dürfte. Nach Recherchen im Internet ist der Helikopter mit der Bezeichnung HB-ZVS an diesem Tag zum ersten Mal für die Air-Zermatt im Einsatz. Aber wichtiger ist, dass die Rotorblätter hier nicht «die Berge abschneiden» und dass Matterhorn, Breithorn und Mont Blanc (ganz links) zusammen unter einem klaren, wolkenlosen Himmel zu sehen sind. Auf den Bildern wird man vergeblich nach dem Klein Matterhorn suchen, das sich aus unserer Perspektive hinter dem Breithorn versteckt. Die markante Spitze links vom Matterhorn nennt sich Dent d'Hérens.
Die Abfahrt beginnt mit einer Wanderung auf 4150 m Höhe. Es ist Gletschergelände, durch das wir unterwegs sind. Hier oben ist das Blau des Himmels besonders blau und das Weiß des Schnees besonders weiß. «Gleißend» ist wohl der richtige Ausdruck für das Licht. Hier gibt es keine Steine, es sei denn, dass Lawinen welche mitgebracht hätten, und auch keinen schmutzigen Schnee.
Am Ende der Wanderung winkt dann zum ersten Mal Tiefschnee. Ich bin gar kein Tiefschneefahrer und muss mich wohl oder übel dadurch quälen. Aber nach einem Sturz, der auf nicht zusammengehaltene Ski zurückzuführen ist, nehme ich mir vor, wieder besser aufzupassen. Es gelingt mir auch, obgleich ich zur Strafe wieder einmal auf die Position direkt hinter dem Bergführer beordert werde. Da sind alle Führer gleich rigoros.
Es gibt mehrere Tiefschneeabschnitte bis zur Monte Rosa Hütte. Ich überlebe, weil sich die Tiefe des Tiefschnees in Grenzen hält. Zudem fahre ich wieder engere Bögen, was mir umso leichter fällt, je tiefer die Höhenlage ist. Auch die kleinen Zwischenanstiege und die eher für Steuerkünstler magischen Schussstücke in den schmalen, einem Ziehweg gleichen Passagen fallen mir hier unten wieder leichter. Ich bekomme Luft!
Die neue Monte Rosa Hütte, im Volksmund der «Kristall», liegt auf einer Höhe von 2900 m. Sie ist offiziell noch gar nicht bewirtschaftet, aber schon im Bergführerbüro hat man uns darauf aufmerksam gemacht, dass sie offen sei. Und so nutzen wir die Gelegenheit, dort eine längere Rast zu machen. Wir sitzen zusammen auf der Terrasse. Zur Beschwörung der Talgeister trinke ich ein großes Bier.
Um die neue Hütte zu gestalten, haben sich diverse Fachrichtungen zusammen gesetzt. Sie sollte weitgehend autark sein und vor allem ihren Energiebedarf aus dem Licht der Sonne gewinnen. Das funktioniert ganz offensichtlich nicht so, wie erwartet. Zwar beherbergt sie etwa zweieinhalb mal so viele Gäste wie die alte Hütte, aber die gewonnene Energie dürfte gerade für die alte Gästezahl reichen. Hier wurde «zuviel gewollt», wie es Andreas so schön ausdrückt. Die Situation erinnert an die deutsche Energiewende, die leider auch nicht mit Photovoltaik zu Rande kommen wird. Die Energieeffizienz der Solarmodule ist dafür zu gering.
Unser Bergführer berichtet bei der Rast davon, dass die Hütte kurz nach ihrer Fertigstellung von den Rotorblättern eines Hubschraubers gestreift wurde, dessen Pilot versucht hatte, auf der Terrasse zu landen. Im Polizeibericht des Kantons vom 5. Juni 2010 findet sich ein entsprechender Eintrag. Auch die RhoneZeitung berichtet in einem Interview über den Vorfall, bei dem der Hubschrauber zerstört, der Pilot verletzt und die Photovoltaik der Hütte schwer beschädigt wurde.
Die Hütte ist nicht nur außen ein architektonischer Leckerbissen. Der Innenraum ist mit markant gemasertem Holz eingerichtet und wirkt, obgleich modern, sehr rustikal. Die großen Fenster geben einen einzigartigen Blick frei ins Tal und auf das alles beherrschende Matterhorn. Wohl wegen des guten Wetters sitzen fast alle Gäste draußen. Wir nutzen noch die Toiletten und zahlen. Unsere Fahrt geht weiter.
Es ist gewiss nicht das Bier, das auf der nun folgenden Abfahrt dazu führt, dass ich mich erneut mit den flachliegenden Bodengeistern anlege. Irgendwie habe ich halt meine Probleme mit tiefem Schnee und zudem muss man hier zum ersten Mal auf Steine aufpassen. Beim Umkurven eines solchen Hindernisses hatte ich mal wieder meine Füße nicht eng genug zusammen. Auch wenn die Prospekte von Zermatt suggerieren, dass die Beherrschung des Parallelschwungs für diese Abfahrt ausreichen würden, so bekommt man erst auf der Strecke selbst ein Gefühl dafür, was damit gemeint ist. Ich hatte mich auf mehr eingestellt und meine Überraschung hält sich deshalb in Grenzen.
Nach der Hütte folgt ein weiterer, etwas steilerer Abstieg, der allmählich in jenes ebene Gelände übergeht, in dem man kein Snowboard dabei haben möchte. Diese Einschätzung ist richtig. Mit dem Board müsste man unentwegt an- und abschnallen. Und es dürfte auch keine gute Idee sein, hier zu versuchen zu laufen. Von hier aus sehen wir all die Orte, von denen aus wir früher auf den Gletscher geschaut hatten: Stockhorn, Rote Nase, Hohtälli und Gornergrat.
Die Ausfahrt aus dem Tal passiert eine beeindruckende Abfolge von Gletscherbrüchen. Hier ist man näher an den Spalten als im Vallée Blanche. Es lohnt sich, hier und da eine Pause einzulegen, da man während der Fahrt damit beschäftigt ist, die Herausforderungen der Skiroute zu meistern. Die Bilder vermitteln einen guten Eindruck von der Streckenführung durch das Eismeer.
Unser Bergführer fährt so, dass ich gut folgen kann. Am Ende der Tour wird er uns seine Karte geben und, zurück in Bonn, schauen wir nicht nur nach den zahlreichen Fotos, die er gemacht hat, sondern auch nach seiner Internetseite. Und siehe da, er vermietet auch Wohnungen, davon einige im Appartementhaus Matterhorngruss. All die Jahre, die wir gegenüber im Hause von Frau Truffer gewohnt haben, haben wir auf das Haus geschaut.
Wir hatten die Angewohnheit, nach dem Ski fahren im Garten zu sitzen und noch einen Cognac zu trinken. Wegen der beengten Verhältnisse war ein Stuhl dem Matterhorn zugewandt und einer dem Haus Matterhorngruss. Während die Sonne bereits nicht mehr in den Garten schien, konnten wir sie immer noch als freundliches Licht auf der Hauswand wahrnehmen. Auch das rege Treiben auf den Balkonen, von denen das Haus genug hat, war stets interessant. Mit dem Verkauf des Chalet Alpengruss, der in etwa mit dem Erwachsenwerden der Kinder zusammen fiel, fand diese Epoche 2011 ein Ende.
Ein weiteres Highlight der Abfahrt ist die Ausfahrt durch einen vom Schmelzwasser gegrabenen Eiskanal, in dem man den Wänden des Gletschers sehr nahe kommt. Er ist an der schmalsten Stelle extrem eng aber gut zu fahren. Aber man täusche sich nicht: Die Abfahrt vom Gletscher in Chamonix weist ein vergleichbares Naturschauspiel auf, das sich im vorigen Jahr gut fahren ließ, in diesem Jahr aber das Umfahren einer Eisbarriere erforderte.
Der Neuschnee vom Vortag dürfte dazu geführt haben, dass wir auf dem Gletscher Griff haben. Wir machen noch Fotos von der Eiswand neben uns, die ein interessantes Wabenmuster zeigt. Dann heißt es, Abschied nehmen vom Gletscher. Wir kommen ohne weitere Vorkommnisse von der Gletscherzunge herunter und können in die Felsschlucht einfahren. Früher, so unser Führer, musste man sich fünf Meter tief abseilen. Zumindest das bleibt mir heute erspart. Auf der Ausfahrt, die man vom Matterhorn-Express aus einsehen kann, realisiere ich, dass ich das Abenteuer überstanden habe. Dass mein Sohn den Rucksack mit Verpflegung und Ausrüstung übernommen hat, hat mir die Abfahrt erheblich erleichert. Auch bleibe ich bei der sehr leichten Einstellung der Skibindung, die dafür sorgt, dass die Skier bei einem Fahrfehler zuverlässig wegfliegen.
Nachdem wir die Schlucht hinter uns haben, folgt ein technisch wenig anspruchsvoller Weg, der zu einer Hängebrücke führt. Hinter dieser Brücke ist man nur noch wenige Meter von der Abfahrt Furgg-Furri entfernt. Wir geben die Sicherheitsausrüstung zurück und verabschieden uns. Wir werden auf Furri ein Bier trinken, auf die großartige Abfahrt anstoßen und dann den Skipass nutzen, um das Klein Matterhorn aufzusuchen. Aber soweit kommt es nicht, denn die Bahnen dort sind wegen Wind geschlossen. So fahren wir am Gornergrat, Rothorn und die Talabfahrt via Ried. Noch ein Bier am Olympia-Stübli und die letzten Meter in einem Pulk von Leuten, wie wir das sonst nicht kennen. Wir kommen heil unten an und wissen: Was wir in dieser Woche erlebt haben wird sich so nicht wiederholen. Die Skisafari 2013 ist definitiv zu Ende.
Ein Jahr später, in den Osterferien 2014, wird sich eine sehr kuriose Geschichte ereignen. Ich bin an diesem einen Tag allein unterwegs und steige in den Matterhorn-Express, eine 8er-Umlaufgondel. Ich komme mit Leuten ins Gespräch und erzähle vom Flug zum Monte Rosa. Eine der neben mir sitzenden Personen fragt plötzlich: «Waren Sie voriges Jahr auch in Zermatt?». Diesmal schaue ich genauer hin: «Axel?», frage ich leicht ungläubig. Und tatsächlich bin ich an der Talstation, als Einzelfahrer wie immer die Schlange überholend, in dieselbe Kabine gestiegen, in der einer der Begleiter vom letzten Jahr sitzt, ebenfalls an diesem Tag eher zufällig allein unterwegs. Wir verbringen den Vormittag zusammen mit schnellen Abfahrten in Cervinia, aber eine schmerzhafte Prellung, zugezogen bei einem Sturz auf die Brust im Tiefschnee, führt dazu, dass ich der rasanten Geschwindigkeit Tribut zollen und letztlich «abreißen» lassen muss. An dieser Stelle noch einmal: «Herzliche Grüße an Axel und Dietmar!»