Chamonix - Aiguille du Midi/Vallée Blanche
Zweite Durchquerung mit Talabfahrt im März 2013
«Geschafft!» lobe ich mich selbst, als wir auf die blaue Piste im Tal treffen, die uns nach Chamonix zurück führt. Unser Führer Christian hatte diesmal etwas Mühe mit mir, weil mir ganz oben die Luft ausging und weil ich mit dem Tiefschnee nicht so recht klar kam, obgleich der nicht schwerer war, als im Jahr zuvor. Wir fahren diesmal eine Variante der Normalroute, die uns mehr Tiefschnee und weniger Buckel beschert. Aber der Reihe nach.
Unsere Reise beginnt wie immer mit der Bergfahrt der Aiguille du Midi, die in zwei Sektionen von 1300 und 1500 Höhenmetern jene 2800 Meter Höhenunterschied überwindet, die wir abfahren werden. Die Tour, für die wir inkl. der Beförderungsanlagen 120 Euro pro Person bezahlen, geht wie alle diese Touren über die Normalstrecke. Wenn man andere Routen fahren will, muss man einen privaten Führer buchen. Wir sehen von dieser Möglichkeit ab.
Oben angekommen steht normalerweise erst einmal Aussicht auf dem Programm. Es gibt hier zwei Plattformen mit atemberaubendem Blick ins Tal und auf die Berge. Christian verzichtet aber auf das Dach der Bergstation und fährt mit dem Aufzug sofort auf den höheren der beiden Aussichtspunkte. Hier befindet man sich auf 3842 m Höhe. Das macht insoweit Sinn, als man wegen des Nebels im Tal ohnehin nur das sieht, was über die Wolkendecke hinaus ragt.
Irgendwie hat es unser Führer heute aber dennoch eilig. Zwar haben wir definitiv Zeit genug, die Bergwelt zu genießen, aber 15 Minuten mehr hätten auch niemanden gelangweilt. So sind wir nach gefühlten 10 Minuten schon wieder unterwegs in Richtung Aufzug. Wer mehr sehen will, muss sich die Bilder Vallée Blanche 2012 ansehen, denen zudem eine ausführlichere Geschichte zugrunde liegt.
Wir haben in dieser Woche, in der Nordfrankreich im Schnee versinkt und Chamonix grau und kalt ist, an dem Tag, an dem wir das Vallée Blanche durchfahren, genau jene vier Stunden Sonne, die man braucht, um ein Ereignis als ein Erlebnis wahrzunehmen. Traumhaft schön ist der Blick auf den Mont Blanc und später dann, nach dem Abstieg zum Startplatz, hinauf zur Aiguille du Midi.
Am Morgen im Tal war davon noch nichts zu sehen. Mein Sohn und ich hatten Punkt 7 Uhr den Aufzug in den 7. Stock des Hotels Alpina genommen um zu frühstücken. Von dort hat man eine unglaubliche Aussicht auf den Komplex Mont Blanc/Aiguille du Midi, sagt man. Dass wir davon nichts gesehen haben, tut mir hier oben nicht mehr leid. Aber nach meinen Erfahrungen muss das Restaurant bei gutem Wetter tatsächlich die beschriebene Aussicht bieten.
Den einzigen Lichtblick dieses Morgens haben wir an der Talstation der Aiguille du Midi festgehalten. Erst nur das Durchschimmern von ewigem Eis, dann die Mauer und die Turmspitze der Station selbst. Ich mache die Bilder, während die Gruppen zusammengestellt werden. Offensichtlich hat unsere Buchung aus dem Auto heraus perfekt funktioniert. Wir sind dabei und werden auch, wie wir das angegeben hatten, einer französisch sprechenden Gruppe zugeteilt.
Ein besonderes Highlight ist der Abstieg über den schmalen Grat oder über die Serpentine zum Startplatz. Es ist keine gute Idee, hier ein Foto bergauf zu schießen. Was flach aussieht ist in Wahrheit so steil, dass man sich mit aller Kraft an den gespannten Seilen festhalten muss um nicht abzurutschen. Knapp 100 Höhenmeter geht es so ins Tal, bevor man die Skier anschnallen kann. Eine echte Alternative zu dieser Wanderung gibt es nicht.
Die Gruppe am Startplatz: Sebastian, Julien, Anne, Marc und Christian. Ganz unten links mein Schatten. Von hier aus geht es in einer weiten Rechts- und einer noch weiteren Linkskurve in Richtung Mer de Glace. Auf diesem Weg komme ich aus der Spur und stürze. Das Gelände ist besonders flach und mir fehlt die Luft, um einfach so aufzuspringen. Während ich noch da liege und mich mit mir berate, ob ich die Skier und den Rucksack ausziehen soll, rettet mich ein Tourengeher einer Zweierseilschaft, indem er plötzlich neben mir auftaucht und mich hoch zieht.
Zwar habe ich mich auf den ersten Metern nicht gerade erfolgreich angestellt, aber es geht noch viel Schlimmer. Wir holen eine Gruppe ein, die im Schneepflug durch den Tiefschnee fährt. Da schaue ich lieber gar nicht erst hin und denke daran, meine Füße in den nächsten Kurven eng zusammen zu halten. Dazu muss ich mich halt immer noch zwingen, theoretisch kann ich das aber. Und wenn ich das tue, dann geht es auch zügig und sicher bergab!
Hier oben in großer Höhe ist die Welt des Skifahrens noch in Ordnung. Der Schnee ist pulvrig und ich merke, dass ich mich immer mehr an die Bedingungen und das Fahren im tiefen Schnee gewöhne. Ich habe mir fest vorgenommen (und es eigentlich auch so gebucht), durch den Wald nach Chamonix abzufahren. Der Waldweg ist je nach Schneeverhältnissen mal mehr und mal weniger gut passierbar. Manchmal muss man auch ein Stück laufen.
Auf dem Waldweg werde ich mich tatsächlich noch nach dem Schnee hier oben sehnen, denn der ist derart ausgefahren, in den Biegungen zu Steilkurven mutiert, von Ästen übersät und mit Steinen gespickt, dass auch gute Fahrer diesem Weg ihre ganze Aufmerksamkeit schenken müssen. Ohne Sturz und auch ohne besondere Vorkommnisse gelingt es mir, die Herausforderungen zu meistern. Am Ende werde ich damit belohnt, dass ich den Weg komplett vermessen bekomme. Dabei wird der GPS-Empfänger außer 2800 Höhenmeter Abfahrt 19 km Wegstrecke ausweisen. Zusammen mit der Abfahrt vom Monte Rosa, die zwei Tage später folgen wird, ist das die mit weitem Abstand längste Abfahrt, die ich je gefahren bin. Danach folgt Klein Matterhorn-Zermatt mit 14 km Länge.
Unser Führer erklärt uns, dass der Gletscher weiter unten weniger Spalten habe als oben, also quert er herüber an eine Stelle, an der wir wieder Felsen unter den Füßen haben. Hier wird die Mittagspause angesetzt. Noch ein Jahr zuvor wurde der Rastplatz wesentlich näher an den Eisbrüchen gewählt, ein Ort, der als «salle à manger» bekannt war, aber die schnelle Veränderung des Gletschers ließe das nicht mehr zu: «Zu viele Spalten!» sagt Christian.
Im Zuge der Rast wird auch besprochen, ob man ins Tal abfahren oder nach Montenvers hinauffahren soll. Da ich diese Lösung letztes Jahr hatte, spreche ich mich für die Talabfahrt aus. Auch die ist nicht frei von einem Zwischenanstieg. Hier sind 80 Höhenmeter weglos im Schnee zu bewältigen, dort 100 m auf Treppenstufen bis zur Seilbahn. Anders als auf dem verlinkten Bild sehen wir die Stahlkonstruktion allerdings nicht. Dieser Teil liegt schon stark im Nebel.
Unterhalb der Treppen beginnt ein Abschnitt, auf dem man seine Skier im Griff haben muss. Es wird eisig, steinig und eng und ich bin in höchstem Maße damit beschäftigt, dem «Guide», wie der Franzose sagt, zu folgen. Bis zum Zwischenanstieg bleibt das Niveau hoch, insbesondere, wenn man seine Skier nicht komplett ruinieren will. Am Ende werde ich aber nicht mehr unterscheiden können, ob die unvermeidlichen Kratzer von der Ausfahrt aus dem Gletscher oder vom Waldweg stammen.
Der Waldweg beginnt an der Hütte, die die «Passhöhe» markiert. Wir sitzen alle etwas fertig da. Ich bin zwar als letzter angekommen, aber mit akzeptablem Rückstand und nur leicht schnaufend. Mein Sohn und ich kaufen je ein amerikanisches Süßgetränk und hocken uns auf eine der Bänke. Weder er noch ich denken daran, diese besondere Hütte, die man im Ruhrgebiet als «Büdchen» bezeichnen würde, zu fotografieren. Am Ende gibt es dann doch noch die versprochene Wanderung, aber sie ist vergleichsweise kurz und hält nicht lange auf. Bis ins Tal sind es nur noch wenige Höhenmeter. Dort werden wir, begleitet von Christian, mit Chamonix-Bus zum Parkplatz zurückfahren, die Sicherheitsausrüstung abgeben, uns umziehen und alsbald losfahren. Die Skisafari 2013 geht weiter.