Côte d'Azur
Die Radtour nach Cabasson
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Wie dicht die Flammen der Bebauung kamen, kann man auf den Bildern erahnen. Immerhin wurden weder hier noch bei Croix Valmer Personen
getötet oder Häuser zerstört. Große Schäden gab es bei la Londe: Wer über die Küstenstraße anreist, findet sich inmitten von
verbranntem Land. Das sind die Vorzeichen, unter denen ich nach Cabasson aufbreche, Luftlinie nur wenig mehr als 3 km entfernt,
mit dem Rad über Waldwege eine Weltreise.
Mit Google Maps komme ich in bewohnten Gebieten ganz gut aus. Der Datenkrake ist aber auch nicht mehr Wert als ein dumm dahinschwätzender
Einheimischer, der sein Wohnzimmer nicht mehr verlässt, wenn es um die Route nach Cabasson geht. Ich gebe das Ziel ein, stelle sicher, dass ich
Fahrrad und nicht Fußgänger eigegeben habe, und folge der Navigation, die mich mit gewohnt freundlicher Stimme, die ich «Isabella»
getauft habe, ins Verderben schickt.
Der erste Eindruck, als ich die geteerte Straße verlasse, ist der eines arg lädierten Waldwegs, nicht so domestiziert wie die Wege im
heimischen Kottenforst, eher so, wie ich mir in Jugendzeiten den Ho-Chi-Minh-Pfad vorgestellt hätte. Bereits nach wenigen Metern muss
ich unter einem umgefallenen Baum hindurchkrauchen, der Weg ist ausgespült und steinig. Die 47er Schwalbe Marathon Reifen helfen mir über
das Gröbste hinweg, aber die Routenführung ist eine ähnlich große Katastrophe wie das, was mich auf dem Weg begleitet: Wo, bitte schön,
hätte ich hier links abbiegen sollen? Ich sehe nicht einmal einen Trampelpfad, den ich zu Fuß hätte nehmen können.
Auf einer Fake News Seite hätte jetzt sicher jemand gepostet: «Abgelegenes Anwesen niedergebrannt». Aber in diesem Fall
hätte das Haus im letzten Jahr auch schon so ausgesehen, hätte man es vor lauter Grün überhaupt sehen können. Jetzt lassen
die verkohlten Äste das Sonnenlicht ungehindert passieren und man sieht vor allem die Wege, die man früher nicht wahrgenommen
hat, einige massiv ausgespült, vom Löschwasser, wie die Leute sagen.
Ob das tatsächlich ein Resultat des Löschwassers ist, wie Einheimische sagen, das hier von Flugzeugen abgeworfen wurde, kann ich
nicht nachprüfen. Die Steilheit der Wege erreicht hier unkluge 20%, was einen Löscheinsatz mit erdgebundenem Gerät erheblich erschwert.
Dafür hat man es dann doch irgendwie geschafft, einige sehr exponiert gelegene Liegenschaften aus dem Flammenteppich herauszulösen.
Skurril!
Damit ich selber glaube, dass ich mit dem Rad unterwegs bin, mache ein Foto von meinem Tourenrad kurz vor der Passhöhe. Alle Bilder wirken hier
flach, egal wie steil das Gelände ist. Ich nähere mich von Norden der Abfahrt nach Cabasson. Diesen Weg habe ich mir in des Wortes wahrstem
Sinne freigekämpft, verkohlte Äste abgebrochen und das Rad stückweise getragen. Dass ich am Ende nur eine Höhendifferenz von 150 m
überwunden habe, ist kaum zu glauben. Auch ohne Waldbrand hätte man diesen Weg mit dem Rad niemals fahren können!
Der verbrannte Feuerwehrwagen, Camion de Pompiers Brulé, ist ein in der ganzen Region bekanntes Relikt einer schon länger
zurückliegenden Feuersbrunst. Er erinnert an drei Feuerwehrleute, die hier am 21. Juni 1990 von den Flammen eingeschlossen und
getötet wurden. Das Denkmal bildet sozusagen die Passhöhe. Von hier aus geht es nach Cabasson nur noch bergab. Aber wie! Wer sich auf
eine Abfahrt freut, wird schnell enttäuscht: Ich ermittle aus den GPS-Aufzeichnungen ein Gefälle von 19%. Da heulen selbst die Bremsen ...
Das 800 m lange Gefälle auf extrem zerschlissener Fahrbahn ist vorbei und ich habe den Strand erreicht. Der Waldbrand hat bis zum
Strand hinunter gewütet, aber auch hier blieben die komplett umzäunten Anwesen und Weinfelder verschont. Ein Blick auf meine Klamotten
zeigt, dass sie aussehen, als hätte ich beim Löschen geholfen, mein Fahrrad auch. Die Reifen sind voller Russ, die Handgriffe ebenso.
Ich trinke Perrier aus der Flasche, die ich im dafür vorgesehenen Halter am Rad mit mir führe und schaue auf der digitalen Karte
nach, ob es einen besseren Weg gibt zurück. Dass sich eine Rückfahrt über die D 42a verbietet, versteht sich von selbst.
Ich habe nicht vor hier zu baden, betrete nur kurz den Strand, mache ein paar Bilder und schwinge mich aufs Rad. Das Fort
Brégançon liegt im Gegenlicht und ist unter diesen Umständen wenig fotogen.
Da ich den Strand und das Fort später wiedersehen werde, fällt es leicht auf Bilder zu verzichten. Ziel des kurzen Ausflugs ist ohnehin
nur das Auskundschaften eines zur Straße alternativen Wegs. Das Ergebnis ist ernüchternd: Ausnahmlos alle Abschnitte präsentieren
sich gesperrt oder mörderisch steil. Der Franzose verachtet Fahrräder, die einen Gepäckträger haben!
Nach der mörderisch steilen Auffahrt, die ich trotz extrem kleiner Gänge kaum meistern kann, komme ich wieder an das liebevoll gepflegte
Denkmal für die verbrannten Feuerwehrleute. Ich halte mich rechts und folge dem Weg in Richtung Funkmast. Durch das offene Tor einer Einfahrt
mache ich ein Foto auf die Bucht von le Lavandou. Dann stehe ich unvermittelt vor einer Schranke und Schildern, die nicht nur die Durchfahrt
verbieten, sondern auch das Betreten der Liegenschaft an sich, der Village des Fourches. Hier hat sich viel Geld ein eigenes Zuhause
geschaffen. Dafür eine ganze Halbinsel abzusperren geht jedoch entschieden zu weit!
Dass ich am Ende aus dem Dilemma der gesperrten Straßen heil herauskomme, verdanke ich einem Franzosen, der vorübergehend in der
«verbotenen Ortschaft» wohnt. Ich stehe mit meinem Rad vor der Schranke, die ich in Deutschland auf jedenfall ignorieren
würde, und rätselrate noch, ob ich die Schilder ebenfalls ignorieren soll, als sich, eher untypisch, ein Franzose auf einem VTT von
hinten nähert und mich fragt, ob er helfen könne. Ich meinerseits frage ihn, wie ich trotz der Schilder nach la Favière hinunter käme
und er sagt mir, ich solle ihn begleiten. Er sei Anlieger und mit dem Rad in der zerstörten Landschaft unterwegs. Ich sei sein Gast.