Am Nordkap
«Die Reise ist das Ziel»
Wer es nicht erlebt hat, der kann es kaum beschreiben: Ein Ziel so vage, so
unkalkulierbar, so weit. Und dann befindet man sich auf den letzten Metern.
Zwischen der Jugendherberge und dem Nordkap überwinde ich mit zwei Anstiegen
gut 400 Höhenmeter auf einer passablen Straße, begleitet von Rentieren und
einem großartigen Panorama. Am Ziel selbst steht man auf schroffen Klippen
etwa 300 m über dem Meer.
Wer jemals im Norden Europas Urlaub gemacht hat, der weiß, dass im Sommer die
Sonne endlos zu scheinen scheint. Aber das täuscht. In der Höhe der Lofoten muss
man schon sehr nahe am längsten Tag eintreffen, um von den Berggipfeln die
Mitternachtssonne zu sehen. Im August ist es zwar immer noch legendär hell,
aber die Sonne taucht bereits für einige Zeit unter den Horizont. Ich
bezeichne dieses Schauspiel auch gerne als den Untergang der
Mitternachtssonne.
Ich bin am Ziel. Das Nordkap ist zwar schon recht rummelig, weil natürlich
Bus um Bus hier hingekarrt wird, aber es ist nicht wirklich überlaufen.
Wegezoll gibt es 1984 auch noch nicht. Es sind einige Personen, die
auf die sportliche Art und Weise diesen Weg meistern. Und da gibt es
natürlich viel zu erzählen, auch wenn in dieser Nacht der Untergang der
Mitternachtssonne hinter den Wolken stattfindet. Ich schwinge das nun
leicht beladene Rad auf den Steinsockel, der die Weltkugel trägt, und nehme
mit Stativ und Selbstauslöser ein Bild auf.
Auf dem Rückweg zur Herberge treffe ich einen Würzburger, der das Nordkap
macht. Er hat vier Wochen Zeit und muss mindestens 140 km/Tag fahren.
Er fährt hin und zurück durch Finnland. Armer Kerl! Sein Freund, so erzählt er mir,
mit dem er auch schon das Matterhorn gemacht hat, hat nun einen gut bezahlten
Job und eine zwanzig Jahre jüngere Frau, der er mit dem Geld imponiert. Er hat jetzt
natürlich keine Zeit mehr für Abenteuerreisen mit dem Freund: "Geld verdirbt die
Leut'!", sagt er.
Ich beschließe in der Herberge, erst einmal zu schlafen und einen weiteren Ruhetag einzulegen. Ich mache es mir gemütlich - und treffe Dave wieder, der in langen Tagestouren über Land bis hier durchgefahren ist. Sein Kommentar: «200 km/Tag sind mit einem gut beladenen Mountain Bike gar kein Problem!» Auch diese Nacht wird wieder lang ...