Am Polarkreis
Der höchste Pass und die Nordlandbahn
600 Höhenmeter Abfahrt liegen vor mir: Von der Grenze sind es keine 50 km bis zur Küste. Dann biege ich um eine Kurve und vor mir liegt ein mieses Bild bei schlechtem Wetter: Mo I Rana, Bergbaustadt, schmutzig dunkel. Aber:
Nach 2100 km stelle ich das Rad an der JH ab und atme tief durch. Zum ersten Mal habe ich eine Ahnung, dass das Ziel «Nordkapp» erreichbar ist. Also halte ich mich gar nicht lange auf, wasche Klamotten, kaufe ein und suche erfolglos nach einer Lenkertasche, da die Halterung der alten gebrochen ist.
Am nächsten Morgen fahre ich auf der Europastraße 6 nach Norden. Die Straße wurde in den 40er Jahren des 20. Jh. unter deutscher Besatzung von jugoslawischen Kriegsgefangenen erbaut. Unter jedem Meter dieser Straße liege eine Leiche, sagen die Norweger. Ein Mahnmal erinnert an die Zeit und die Menschen, die in dieser unwirtlichen Umgebung die erste Straßenverbindung schufen.
Am Polarkreis hat die Straße die Höhe 707 m erklommen, zugleich die höchste Stelle der gesamten Tour. Von Mo I Rana sind es etwas mehr als 80 km und es gilt eine heftige Steigung zu überwinden. Mit der Übersetzung von 42:28 ist hier jeder Höhenmeter eine Qual. Und Konsequenzen wird das auch haben ...
Am Polarkreis befindet man sich oberhalb der Baumgrenze. An dieser Stelle kommen Nordlandbahn und E 6 zusammen. Für jeden Nordlandreisenden ist ein Foto mit dem Steinhaufen absolutes Muss! Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auch die Bahnreisenden versuchen, das Monument mit den zwei Breitenkreisen im Bild festzuhalten.
Die Straße führt einige Zeit über die Höhen, bevor sie spektakulär zur Küste absteigt. Die Abfahrt ist landschaftlich einmalig, führt durch Wälder und schroffe Täler, begleitet Felsabstürze und Wasserfälle. Bis zur Küste sind es dann noch einige Kilometer, sodass ich an diesem Abend mein Zelt im Wald bei Storjord aufschlage. 130 km sind unter diesen Bedingungen genug!