Frankreich
Château Guédelon
Unsere Kinder lieben Mittelalterspiele, besitzen Rüstungen und Kettenhemden,
ausgefallene Kleidung, die sie selbst schneidern und ein gewaltiges Nachschlagewerk
in französischer Sprache, das Auskunft gibt über Möbel, Kleider und den (damaligen)
Stand der Technik. Da ist es nicht verwunderlich, wenn meine Frau und ich auf dem Weg
von Paris nach Süden am Château Guédelon vorbeischauen, etwa 200 km südlich
der Hauptstadt gelegen.
Das Projekt Guédelon geht auf Michel Guyot zurück, der ein Schloss, eher eine
Festung, franz. «château fort», mit Werkzeugen des 13. Jh. erbauen lassen wollte.
Das Stichwort hierzu ist «experimentelle Archäologie». Es werden im wesentlichen
historische Werkzeuge und Materialien benutzt. Diese Vorgehensweise wird durch
Arbeitsschutzmaßnahmen beschränkt. So tragen die Arbeiter zwar historische Gewänder
aber Schuhe mit Metallkappen. Die Gerüste sind mit neuzeitlichen Verbindungsstücken
gesichert. Andere neuzeitliche Gegestände wie Radios und Uhren sind auf der Baustelle
untersagt. Rauchen ist im Verborgenen erlaubt.
Es ist die Besonderheit des Projekts, dass nicht nur Wissenschaftler den Arbeitern über
die Schultern schauen, sondern auch Zuschauer zugelassen sind, die zudem mit ihren
Eintrittsgeldern einen Teil der Arbeiten finanzieren. Im ersten Jahr wurden 80.000
Besucher registriert, 2015 wurde mit 300.000 Besuchern das Maximum erreicht.
Die französische Ausgabe der Wikipedia erzählt ausführlich über die Sponsoren der ersten Stunde, u. a. die europäische Union. Der «erste Stein» wurde im Juni 1997 gelegt, die Fertigstellung ist für das Jahr 2023 geplant. Anfangs hatte das Projekt damit zu kämpfen, dass weder die Menge der Pläne und der Massen noch die Reihenfolge der Arbeiten durchdacht waren. Heute rechnet man damit, dass 30.000 t Sandstein für den Bau erforderlich sein werden.
Dass das Schloss gebaut wurde wo es heute ist, liegt auch an dem Vorhandensein der
wichtigsten Materialien. Der Schauplatz der Arbeiten ist ein alter Steinbruch
inmitten eines Waldes. Unweit entfernt gibt es einen See und einen kleinen Bach,
an dem eine Wassermühle errichtet wurde. Da alle Materialien auf Pferdekarren
transportiert werden, konnte man so die logistischen Herausforderungen im Rahmen
halten.
Château Guédelon hat außer seinem wissenschaftlichen auch einen hohen touristischen
Stellenwert. In Burgund ist es nach dem Hospices
de Beaune die Sehenswürdigkeit auf Platz 2. Insgesamt wird der Umsatz, den das Schloss
jedes Jahr generiert, auf 3-4,5 Millionen Euro taxiert. 100 Angestellte und 650 indirekt
Profitierende sind offizielle Zahlen für das Jahr 2018. Dazu haben wir, wenn auch
ein Jahr später, unseren Teil beigetragen.